Die Frauen der Revolution Straße

Die Frauen der Revolution Straße

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Dezember 2017. Teheran. An der Ecke der Revolution Straße (Khiyaban-e-Enghelab) und der Aboureyhan Straße. Die französische Patisserie „Shirini Faransavi“, eine der ältesten der Stadt. Junge Leute, die zumeist Studenten sind, hocken an ihren Tischen. Ein betörender Duft von Backwaren und heißer Schokolade mildert die Winterkälte. Gedämpfte Sprachfetzen und spontanes Lachen vermischen sich mit dem Geklapper von Tassen und Gläsern. Blicke kreuzen sich und verlassen einander wieder.

In der Ferne, grauer Himmel. Der Winter dauert an und die Repression geht weiter. In diesem Café finden die jungen Menschen Teherans Zuflucht, ducken sich hinter den breiten Fensterscheiben, die sie vor dem Getöse der großen Metropole und deren erregendem Leben schützen. Auf den Bürgersteigen drängeln sich die Fußgänger, die sich kaum einen Weg verschaffen können. 

In wenigen Augenblicken wird eine junge Frau aus der dichten Menge heraustreten. Ohne ihren islamischen Habit, wird sie behände auf einen Stromkasten, der der dem Elektroversorger der Stadt gehört, steigen. Sie wird sich darauf stellen mit dem Gesicht zur Straße, aufrecht und selbstsicher. Sie wird ihren weißen Schal an einen Haken hängen wie eine weiße Fahne als Zeichen des Friedens, eines Burgfriedens. Sie wird völlig ruhig handeln mit einem heiligen Ernst (Bilden 1, 2). Die Passanten werden erstaunt und ratlos sein, Tränen der Rührung werden entlang der Wangen fließen.

Bild 1. Vida Movahed, Revolution Straße, Teheran, 2017. Quelle Twitter.

Man wird sich an sie erinnern. Sie wird ihrer Zeit ein Zeichen aufdrücken.

Viva Movahed, dreißig Jahre alt, eher kleingewachsen, mit langen Haaren ist Mutter eines kleines Kinds. Über ihr Privatleben weiß man nichts. Mit ihrer Aktion fordert sie volle Staatsbürgerschaft und soziale Gleichstellung für alle Frauen ihres Lands ein. Erstmals stellt eine iranische Frau so offen zugleich in Ruhe das obligatorische Tragen des islamischen Schleiers in Frage.

In diesem Monat, dem Dezember 2017, findet die Bewegung des zivilen Ungehorsams seinen Ausdruck im Iran.

Man wird sich an sie erinnern. Sie wird ihrer Zeit ein Zeichen aufdrücken.

Das Foto von Vida Movahed wird in den sozialen Netzwerken des Iran und in der ganzen Welt die Runde machen. In den folgenden Tagen werden mehrere Frauen ihre Aktion an demselben Ort wiederholen, auf demselben Stromkasten. Man wird sie „Die jungen Frauen der Revolution Straße“ nennen. Eine große Anzahl von ihnen wird festgenommen, misshandelt und ins Gefängnis gebracht werden. Die Anwältin für die Verteidigung der Menschenrechte Nasrin Sotoude, die für sie eintreten wird, wird im Jahr 2018 selbst zu 38 Jahren Haft und 148 Peitschenhieben verurteilt werden (Bilden 3, 4). Dieses ganze Ereignis wird eine bedeutende Etappe in der Geschichte des Iran markieren. Es wird ein ganzes Volk ergreifen und sich tief ins kollektive Gedächtnis einer Nation eingraben.

Die mutige Aktion der Vida Movahed ist von einer großen symbolischen Kraft animiert und das wird auch ihre Bedeutung in der Bevölkerung erklären. Ihre Wahl – sowohl des Orts als auch der Form ihrer Aktion - ist nicht harmlos.

In der Tat ist die Revolution Straße eins der neuralgischen Zentren des Lands, wo gewaltige Demonstrationen gegen das Regime des Schahs stattfanden, die schließlich zu seinem Sturz im Januar 1979 geführt haben. Die ruhmvolle Universität des Iran, wo das Herz der studentischen Aufruhrs schlug gegen das damalige und das jetzige Regime befindet sich dort ebenso. Während der grünen Bewegung von 2009, waren die islamischen Milizen, die Bassidjis in tiefer Nacht in die Schlafräume der Studenten eingedrungen, hatten sie geschlagen sie mit Gewalt bedroht worden. Einige waren festgenommen, gefoltert und vom Campus vertrieben worden.

Erstmals stellt eine iranische Frau so offen zugleich in Ruhe das obligatorische Tragen des islamischen Schleiers in Frage. In diesem Monat, dem Dezember 2017, findet die Bewegung des zivilen Ungehorsams seinen Ausdruck im Iran.

Zur Zeit bemächtigen sich die Studenten dieser Zonen und besetzen sie nach und nach aufs Neue. Die Universität ist auch der bevorzugte Ort für das große Freitagsgebet. Jede Woche nehmen mehrere tausend Gläubige der postrevolutionären Agitation den Ort in Besitz, rollen ihre Gebetsteppiche auf dem Boden aus, aber auch in den Seitenstraßen, lauschen den Worten der politisch-religiösen Elite und bereiten ihnen Ovationen. Hier begegnen und entgegnen zwei parallele Welten einander.

Bild 2. Vida Movahed, Revolution Straße, Teheran, 2017. Quelle Twitter.

In der Figur der Vida Movahed existiert eine symbolische Verwendung zweier Universen. Einzig, aufrecht auf ihrer städtischen Bühne, stellt sie sich der Straße gegenüber, gegenüber der unsichtbaren Masse der Gläubigen und hält ihnen ihren Schleier entgegen. Ohne ein einziges Wort, bittet sie um Burgfrieden! Wer würde sich trauen eine Frau mit einer weißen Fahne zu attackieren. Das ist ein Kriegsakt und einer des Friedens.

Sie tritt als ein freies Individuum auf ohne politisches oder religiöses Gerede. Sie deklariert als ihre Essenz das Recht auf Gleichheit und Respekt.

Sie gibt sich preis, sicherlich, aber als freie Frau, überzeugt von sich und auf ihre universalen Rechte pochend.

Allein, und voller Stolz, verkörpert sie einen einzigartigen Eindruck von Größe, so als stände sie da aufrecht für alle, so als befände sich ein ganzes Volk, das sie unterstützt, hinter ihr.

Sie ist voll in Ruhe, integer und herzlich. Sie lamentiert nicht. Sie tritt nicht als Meute auf, die weint und sich rächen will. Sie grämt sich nicht ob allen Leids und des Unglücks, was sie umgibt. Sie führt keinen Diskurs einer Märtyrerin, der den Religiösen und den Nichtreligiösen so teuer ist. Sie tritt als ein freies Individuum auf ohne politisches oder religiöses Gerede. Sie deklariert als ihre Essenz das Recht auf Gleichheit und Respekt.[1]

Der zivile Ungehorsam der Bürgerin Movahed ist gerecht und gewaltlos: Er ist von einer vitalen Energie im Urzustand geprägt sowie von einer gebildeten, erfindungsreichen Jugend, die zur Welt geöffnet ist. Alles Eigenschaften, die oft verborgen, deformiert  oder zumindest ignoriert werden von unseren Medien. Verschließen wir unsererseits diesen nicht durch unseren vereinfachenden Diskurs und unsere geminderten Ideen.

Der zivile Ungehorsam der Bürgerin Movahed ist gerecht und gewaltlos: Er ist von einer vitalen Energie im Urzustand geprägt sowie von einer gebildeten, erfindungsreichen Jugend, die zur Welt geöffnet ist.

Im Frühjahr 2019 schreibt die Rechtsanwältin Nasrin Sotoudeh aus dem Gefängnis heraus: „Die freie Wahl sich als Frau zu kleiden ist Teil der fundamentalen Freiheiten und der Entwicklung der Demokratie in unserer Gesellschaft, sie ist verbunden mit der Weiterentwicklung der Frauenrechte. Solange das Recht sich zu kleiden wie man will, nicht gesichert ist, werden auch andere Rechte nicht respektiert werden....Ich hoffe von ganzem Herzen, dass wir auf friedliche Weise in allen Ländern der Verweigerung der Rechte der Frauen, also der Hälfte der Bevölkerung  im Namen einer Ideologie, einer Religion oder einer Ethik, ein Ende setzen können.”[2]    

November 2019. Iran. Die Bewegung des bürgerlichen Ungehorsams wird weitergehen...!

Notes

1. Elias Canetti : Masse und Macht, Hamburg 1960.

2. Brief an das Gericht von Paris und an alle Gerichte Frankreichs, Übersetzung  Hirbod Dehghani-Azar.

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